Staubkreise
Das Thema des Exponats „Staubkreise“ ist ein interessanter mathematischer Satz über ebene Bewegungen. Zunächst einmal kannst Du das Exponat betrachten: Es besteht aus zwei durchsichtigen Kunststoffplatten, in die jeweils in deckunsgleicher Weise schwarzer Staub eingelagert ist. Die obere der beiden ist in einen Holzrahmen eingespannt, der sich gegen die untere feste Platte verschieben lässt. Was kannst Du nun dabei beobachten?
Es scheint, als würden sich unfreiwillig durch diese Verschiebung Kreise ausbilden — wie der Name des Exponats bereits verrät.
Und nun die Mathematik dazu:
Aber woran liegt dieses Phänomen? Dazu wollen wir ein paar mathematische Begriffe einführen, die eine präzise Beschreibung des Beobachteten ermöglichen. Dazu führen wir zunächst die sogenannte euklidische Metrik auf der Ebene ein: Seien
und
zwei Punkte in der Ebene. Dann ist deren euklidischer Abstand definiert als
. Eine Abbildung
der Ebene in sich, die den euklidischen Abstand erhält, d.h. es gilt
für alle
, heißt Isometrie. Warum betrachten wir solche Abbildungen? Nun, die Begründung liegt darin, dass das Verschieben der oberen Kunststoffscheibe gegen die untere genau einer solchen abstandserhaltenden Selbstabbildung der Ebene entspricht, denn dabei bleibt ja der Abstand zwischen zwei Punkten derselbe, egal ob wir die Platte verschieben.
Die Frage, die das Exponat dem Besucher indirekt stellt, ist diese: Welche abstandserhaltenden Selbstabbildungen der euklidischen Ebene gibt es überhaupt?
Wir wollen diese Frage im Zuge dieses kurzen Vertiefungstextes vollständig klären. Dazu beobachten wir zunächst, dass jede Translation um einen gegeben Vektor abstandserhaltend ist, denn es gilt
Die Translationen stehen nun aber in Bijektion mit den Vektoren selbst. Ist also
eine abstandserhaltende Abbildung, so können wir die Abbildung
bilden, die immer noch den euklidischen Abstand erhält und nun aber den Nullpunkt
fixiert. Daher dürfen wir annehmen, dass
. Nun wollen wir die Bilder der beiden Standardeinheitsvektoren
und
unter
betrachten. Das rechtwinklige Dreieck
ist durch die Längen seiner Seiten (nämlich
,
und
) bis auf Kongruenz bestimmt. Diese bleiben allerdings unter
erhalten, sodass
und
wiederum aufeinander senkrecht stehende Einheitsvektoren sein müssen. Man überlegt sich desweiteren, dass jeder Vektor
eindeutig durch seine Abstände zu den drei Punkten
,
,
festgelegt ist. Diese sind nämlich genau
,
,
, sodass
und
die Parameter
und
eindeutig festlegen. Damit muss aber
sein, denn dieser Vektor hat dieselben Abstände zu
,
,
wie
zu
. Somit muss die Abbildung
nun sogar linear sein (denn dies entspricht genau der eben ausgeführten Beobachtung). Da
aber gleichzeitig auch die Orthonormalbasis
auf wieder eine solche Basis abbildet, entspricht
einer orthogonalen
Matrix. Diese Matrizen lassen sich nun aber sehr einfach beschreiben: Dazu nehmen wir an, dass
auf den Einheitsvektor
abgebildet wird. Wegen
, finden wir einen Winkel
, sodass
und
(da die Gleichung genau den Einheitskreis beschreibt). Der Vektor
muss nun auf einen Einheitsvektor
abgebildet werden, der senkrecht auf
steht. Damit folgt aber bereits, dass
, da es nur zwei solcher Vektoren gibt. Somit gilt
. Wir erhalten für
also die Matrix
Hierbei ist beliebig zu wählen. Ist nun
, so entspricht dies schlicht einer Drehung um den Winkel
. Diese Tatsache ist der vom Exponat herausgestellte Sachverhalt. Ist hingegen
, so erhalten wir eine Spiegelung an der Geraden
, die die
-Achse im Winkel von
schneidet.
Somit haben wir die abstandserhaltenden Selbstabbildungen der euklidischen Ebene vollständig verstanden: Eine jede solche Abbildung ist von der Form
für eine Dreh- oder Spiegelungsmatrix wie oben und einen Vektor
, der der abgezogenen Translation entspricht. Wenn wir allerdings bei der identischen Selbstabbildung starten (wo
gilt) und diese zu einer bestimmten anderen abstandserhaltenden Abbildung hinführen, so kann der Parameter
keinen „Sprung“ machen (da sich sonst plötzlich die Orientierung umkehren würde und damit die Platte umgedreht werden, was beim Exponat nicht zulässig ist). Somit können wir uns also auf den Fall
beschränken (ist
, so kann man zeigen, dass dann
immer die Spiegelung an einer Geraden darstellt). Nun können zwei Fälle eintreten:
Fall 1: besitzt einen Fixpunkt
. Dann gilt
. Daraus folgt
. Also ist
dann gegeben durch
, was schlicht die Drehung um den Punkt
um den Winkel
ist.
Fall 2: hat keinen Fixpunkt. Da die Gleichung
für
immer lösbar ist (denn
ist dann nicht singulär), muss folglich
gelten.
ist dann also einfach nur eine Translation.
Die beiden Fälle 1 und 2 klären nun das am Exponat beobachtete Phänomen vollständig auf: Entweder man sieht große Staubkreise (Fall 1) oder zumindest Staubgeraden (Fall 2).
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass beobachtete interessante Tatsache für die Gruppe aller orientierungserhaltenden () Selbstabbildungen der euklidischen Ebene gruppentheoretisch darin liegt, dass sie eine sogenannte Frobeniusgruppe ist. Dies drückt sich genau darin aus, dass die Elemente, die keinen Punkt fixieren zusammen mit der Identität eine Untergruppe (die Translationen) bilden.
Literatur
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Drehgruppe
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Isometrie
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Euklidischer_Raum