Galtonbrett
Am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte der englische Universalgelehrte Sir Francis C. Galton (1822–1911) eine Anordnung zur Demonstration der sogenannten Binomialverteilung. Diese Anordnung bezeichnete man später ihm zu Ehren als Galtonbrett. Eine Version davon ist im ERLEBNISLAND MATHEMATIK realisiert:
Zwischen zwei Glasplatten sind mehrere 50-Cent-Münzen so mit jeweils drei Stiften befestigt und gleichmäßig angeordnet, dass sich — als Gesamtstruktur — ein gleichseitiges Dreieck aus zwölf „Kaskaden“ ergibt (siehe nachfolgende Abbildung 1):
Lässt man nun eine Münze senkrecht von oben hineinfallen, entscheidet sich an jedem dieser Hindernisse (also der arretierten 50-Cent-Münzen) zufällig, ob sie nach rechts oder links fällt. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt jeweils . Unterhalb des Galtonbrettes befinden sich mehrere Fächer, in denen sich die eingeworfenen Münzen übereinander stapeln. Das heißt, auf diese Weise entsteht eine Art Balkendiagramm, das sich mit zunehmender Anzahl von eingeworfener Münzen näherungsweise der Dichte einer Normalverteilung annährt. Die Form dieser Dichte ist eine glockenförmige Kurve („Gauß’sche Glockenkurve“), wie die folgende Abbildung 2 zeigt:
Zur Durchführung des Versuchs im ERLEBNISLAND MATHEMATIK sind 1-Cent-, 2-Cent-, … oder 50-Cent-Münzen geeignet.
Bemerkung: Die für ein Experiment am Galtonbrett eingeworfenen Münzen kommen später als ein Beitrag zur Arbeit des gemeinnützigen(!) Vereins zur Förderung der Arbeit des ERLEBNISLANDES MATHEMATIK zugute. So entstand der Name „Geldtonbrett“ für dieses Exponat.
Und nun … die Mathematik dazu:
Das Galtonbrett im ERLEBNISLAND MATHEMATIK hat ingesamt Stufen, d.h. die eingeworfene Münze muss sich auf ihrem Weg nach unten genau zwölfmal für rechts oder links „entscheiden“. Es ist sinnvoll anzunehmen, dass alle diese Entscheidungen stochastisch unabhängig voneinander sind: Ob die Münze sich an einem Hindernis so oder so entscheidet — es beeinflusst ihr Verhalten darunter nicht. Es wird also im Wesentlichen der gleiche Zufallsversuch zwölfmal hintereinander durchgeführt. Dementsprechend gibt es also genau
Möglichkeiten, wie sich die Münze verhalten kann. Jede dieser Möglichkeiten entspricht genau einem Pfad im zugehörigen Baumdiagramm. Gezählt wird bei dem Experiment aber nicht, wie oft eine Kugel jeden dieser (gleich wahrscheinlichen) Pfade benutzt, sondern wie oft sie sich für rechts und für links entscheidet.
Zu diesem Zwecke sind unterhalb des Galtonbrettes Fächer
angebracht, die dies widerspiegeln. Die Münze landet nämlich genau dann im Fach
, wenn sie sich genau
-mal für rechts (und dementsprechend
-mal für links) entscheidet.
Führt man dieses Experiment nun mit einer genügend großen Anzahl von Münzen durch, lässt sich beobachten, dass sich die meisten dieser in den mittleren Fächern sammeln. Die außen liegenden Fächer hingegen werden nur selten erreicht.
Dies wiederum hat einen einfachen mathematischen Grund: Die Anzahl der Pfade, die ins Fach münden, ist genau
, denn es gilt von den
Stufen genau
auszuwählen, bei denen sich die Münze für rechts entscheidet. Dementsprechend beträgt die Wahrscheinlichkeit im Fach
zu landen genau
wobei .
Diese Wahrscheinlichkeitsverteilung nennt man Binomialverteilung mit den Parametern (der Wahrscheinlichkeit, dass eine Münze an einem Hindernis nach rechts fällt) und
(der Anzahl Stufen des Zufallsexperiments). Die
nennt man auch deren Einzelwahrscheinlichkeiten.
Der Sachverhalt, dass die Binomialverteilung für „große“ Werte durch die Normalverteilung approximiert — d.h. angenähert — wird, beschreibt der sogenannte Grenzwertsatz von Moivre-Laplace:
für ,
fest und beliebig,
und
.
Im Folgenden skizzieren wir noch einen Beweis für diesen Satz:
Zunächst beobachtet man, dass die Dichtefunktion
die Ableitung hat, also der Differentialgleichung
genügt. Setzt man hinzu, dass das Integral
sein soll, so erhält man die Dichtefunktion
der Standard-Normalverteilung als eindeutige Lösung dieser Differentialgleichung. Die Behauptung des Grenzwertsatzes von Moivre-Laplace ist nun, dass die (geeignet reskalierte) „Dichtefunktion“ der Binomialverteilung mit den Parametern und
gegen diese Funktion
konvergiert. Mit „reskalieren“ meinen wir hier, dass die
-Koordinate zuerst um
nach links verschoben wird und anschließend die
-Achse um
gestaucht und die
-Achse um
gestreckt wird. Wir erhalten damit aus der binomial-verteilten Zufallsgröße
mit Werten in
, die Zufallsgröße
, die Werte in
annimmt. Dies ist eine diskrete Zufallsgröße mit der Verteilung
wobei das Dirac-Maß in
ist. Da die Zufallsgröße
diskret ist, hat sie keine Dichtefunktion im eigentlichen Sinne. Wir können aber in der eben notierten Formel das Dirac-Maß
durch ein auf
gleichverteiltes Maß der Masse eins
ersetzen (wobei
das Lebesgue-Maß bezeichnet). Wir erhalten auf diese Weise eine weitere Zufallsgröße
, die eine Dichtefunktion hat. Es ist leicht einzusehen, dass die Verteilungen von
und
im Limes schwach-äquivalent sind, d.h. ihre Differenz konvergiert schwach gegen
für
. Wir können also mit
statt
arbeiten. Um zun zeigen, dass deren Verteilungsfunktion schwach gegen
(
das Lebesgue-Maß) geht, zeigen wir nun einfach, dass diese im Limes der obigen Differentialgleichung
genügt. Schreiben wir also
für die Dichtefunktion von
und nehmen wir an, dass
für ein
. Dies ist sicher sinnvoll, da solche Werte mit wachsendem
die ganze Achse ausfüllen und immer dichter liegen. Dann haben wir
und
Doch was ist . Tatsächlich ist
in einer Umgebung von
konstant, also müsste eigentlich
gelten. Aber im Abstang
von
macht
plötzlich einen Sprung; dort wäre also
. Um beides zu berücksichtigen, verwenden wir einen Differenzenquotienten statt eines Differentialquotienten:
Damit ergibt sich für die linke Seite der Differentialgleichung
und für die rechte Seite
Um also die obige Differentialgleichung im Limes zu überprüfen, reicht es — unter Berücksichtigung von und
— die Gleichung
für nachzuweisen. Diese Rechnung überlassen wir dem Leser und verweisen auf den Beweis auf Wikipedia, indem diese ausgeführt wird. Da auch
, sind wir fertig. Natürlich ist diese Skizze kein strenger Beweis — sie lässt sich aber mit einiger Bemühung in einen solchen umwandeln.
Literatur
[1] Henze, N.: Stochastik für Einsteiger. Eine Einführung in die faszinierende Welt des Zufalls, Springer Spektrum, 10. Auflage, Wiesbaden, 2013.